Rainer Rausch ist Pomologe und Mitbegründer des Arbeitskreises „Historische Obstsorten der Pfalz". Er hat das Heinrich Pesch Haus ehrenamtlich bei der Anlage einer Streuobstwiese beraten.
Mich begeistert die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten, die auf Streuobstwiesen vorkommen und leben können, mich begeistert aber auch die Anzahl der vielen Obstsorten.
Das ist eine alte bäuerliche Kulturform. Früher gab es nur Hochstamm-Obstbäume, also große Obstbäume. Die kleineren Obstbäume kamen erst im 19. und 20. Jahrhundert auf.
Sie haben einen vielfachen Nutzen. Da ist einmal der ökologische Aspekt mit den vielen Tier- und Pflanzenarten, die dort leben können – die Bandbreite reicht vom Siebenschläfer über den Feldhasen bis zum Rebhuhn. Zum anderen kann man aus einer Streuobstwiese auch ökologischen Nutzen ziehen, indem man aus dem Obst Saft oder Schnaps herstellt.
Streuobstwiesen haben in den 1980er Jahren ein Revival erlebt. In der Zeit zuvor wurden die ganzen Hochstamm-Bestände zugunsten dem Niederstamm-Anbau beseitigt, auch mit Unterstützung der Politik, was natürlich besser für die Obstbauern ist. Seit den 1980er Jahren begeistern sich immer mehr Leute für das Thema Streuobst.
Ja, jahrhundertelang gab es in Europa nur Streuobstwiesen.
Auf der Streuobstwiese wächst beispielsweise der Herrgottsapfel. Das ist eine uralte westpfälzische Apfelsorte, die 1539 erstmals literarisch von dem Arzt und Botaniker Hieronymus Bock erwähnt wurde. Aber es muss sie natürlich schon vorher gegeben haben. Man nimmt an, dass sie von der Deutschordenskommende in Kaiserslautern-Einsiedel abstammt. Und die wurde bereits 1120 erwähnt. Der Herrgottsapfel ist ein schöner Herbstapfel, rot-gelb. Er ist ein Kinderapfel, denn er hat weiches Fruchtfleisch und wurde gerne genommen, um Säuglinge zu füttern – oder Senioren, die keine Zähne mehr hatten.
Ja, das passt thematisch sehr gut zu Ihrem Haus. Wir haben da eine Karmeliterrenette, das ist ein Apfel, und die Sipplinger Klosterbirne. Sie stammt aus dem Bodenseegebiet und weist auf die Rolle der Klöster im Mittelalter hin. Diese waren federführend im Obst- und Gemüseanbau und haben später ihr Wissen an die Bauern weitergegeben. Wir haben im Park auch einen Karindal-Bea-Baum, benannt nach dem aus dem Schwarzwald stammenden Kurienkardinal Augustin Bea. Pater Tobias Zimmermann wusste direkt, dass er ein Jesuit war. Es ist ein schöner Wirtschaftsapfel, für Most und Apfelsaft.
Da gibt es zum Beispiel den Korbiniansapfel. Es ist keine alte Sorte, aber er hat das Aussehen und den Geschmack einer alten Apfelsorte. Er wurden von dem bayerischen Pfarrer Korbinian Eigner im KZ Dachau aus eingeschmuggelten Apfelkernen gezogen und eingepflanzt. Später wurde er in allen bayerischen Landkreisen zu seiner Ehre angebaut.
Ich erlebe immer wieder Überraschungen wie jüngst in Meckenheim, wo ich Vogelnistkästen überprüft habe. Da hatte ich Begegnungen der flauschigen Art, denn aus manchen Nistkästen kamen Waldmäuse herausgesprungen. Die hatten das Nest der Vögel genutzt, um dort den Winter zu verbringen. Oder beim Zurückschneiden eines Zwetschgenbaums entpuppte sich ein toter Ast als Wohnung eines Siebenschläfers.
„Zu fällen einen schönen Baum, braucht’s eine halbe Stunde kaum.
Zu wachsen, bis man ihn bewundert, braucht er, bedenk‘ es, ein Jahrhundert. “
Die ersten Früchte kommen vielleicht schon im nächsten Jahr. Bei einer Kirsche dauert es drei bis vier Jahre, dann müssten auch schon die ersten Äpfel kommen. Das sind alles so Versucherle, der Baum muss ja erst einmal wachsen und Fuß fassen.
… das kommt selten vor …
Eine Streuobstwiese ist vom Lebensraum mit der Savanne vergleichbar. Wir kommen ursprünglich aus Savannengebieten, und deswegen sind Streuobstwiesen beliebt. Sie sind nicht so dicht, wie ein Wald, wo Feinde sein können. Man hat einfach einen besseren Überblick und hat gleich noch Bäume, von denen man zehren kann. Johann Wolfgang von Goethe hat dazu gesagt:
„Ich muss gestehen, dass ich in der Baumschule unter den fruchtbaren Bäumen lieber bin. Der Gedanke des Nutzens führt mich aus mir selbst heraus und gibt mir eine Fröhlichkeit, die ich sonst nicht empfinde.“
Das trifft so auch auf mich zu. In einer Baumschule gucke ich immer, ob es neue oder alte Sorten gibt, die für Streuobstwiesen geeignet sind.
Das Interview führte Ulrike Gentner.
Dokumentation: ako