Auf der großen Wiese im Park des Heinrich Pesch Hauses gab es gleich vier Erzählstationen: Die Waldbühne unter den großen Platanen, zwei rote Erzählzelte und eine Station vor einem kleinen Wohnwagen. In der Mitte der Wiese lockten Bänke und Tische unter einer großen Pagode zum Verweilen und Genießen der leckeren Köstlichkeiten aus der Küche des Heinrich Pesch Hotels.
Pünktlich um 18 Uhr eröffnete die künstlerische Leiterin Susanne Tiggemann dann die Lange Nach der Geschichten. „Überall haben wir erzählt, in drei Bundesländern, in Kitas und Schulen, in Integrationskursen und Mehrgenerationenkursen“, blickte sie auf die Erzählfest-Woche zurück, in der 13 Erzählkünstler*innen in 20 Kommunen zu über 150 Erzählrunden eingeladen hatten.
Die Lange Nacht der Geschichten stand unter dem Motto „Wunschgedanken und Wortgefechte“ – „ein Thema wie gemacht für uns Erzähler*innen“, freute sich Susanne Tiggemann. „Denn Sprache kann Vieles: Sie kann verletzten, dreisteste Lügen erzählen, trösten oder Liebesgeflüster ins Ohr säuseln“. All das können auch die Erzählkünstler*innen des Abends, die Susanne Tiggemann dann vorstellte: Selma Scheele, die zweite künstlerische Leiterin des Erzählfests, Maria Carmela Marinelli, André Wülfing und Tormenta Jobarteh. „Welche Geschichten sie dabei haben, wissen nur die Erzähler*innen. Aber eines ist sicher: Es werden auf jeden Fall Märchen dabei sein“, machte Susanne Tiggemann die Zuhörer*innen neugierig auf den Abend.
Zur Einstimmung erzählten die fünf Erzähler*innen dann gemeinsam die erste Geschichte des Abends, in der es gleich um Märchen ging. Mit „Es war einmal“ ging es ganz klassisch los: Es war einmal die Wahrheit, die umherging, „nackt, wie sie geschaffen war“. Die Menschen mieden sie, was die Wahrheit sehr betrübte. Da kam das Märchen in die Stadt, „bunt, schillernd, wundervoll und die Menschen hingen an seinen Lippen“. „Kannst du mir erklären, warum die Menschen so begeistert sind von dir?“, fragte die Wahrheit das Märchen. „Die Menschen lieben das Schöne“, entgegnete das Märchen. „Ach, du bist doch nur Schein“, antwortete die Wahrheit, worauf das Märchen sagte: „Urteile nicht vorschnell und gib mir einen Moment Zeit.“ Das Märchen legte alles bunt Schillernde und alle Gewänder ab – „und stand da – nichts als die nackte Wahrheit“, endete Susanne Tiggemann.
Auf der Waldbühne nahm dann Tormenta Jobarteh die Zuhörer*innen mit in seine Heimat Afrika. Dabei begleitete er sich selbst auf der Kora, einem traditionellen Saiteninstrument aus einem halben getrockneten Kürbis, bespannt mit einer Kuhhaut und mit 21 Saiten versehen. Nach einer nachdenklich stimmenden Geschichte über die Zwillinge Macht und Liebe, die erkennen, dass sie nur gemeinsam für eine friedliche Gesellschaft sorgen können, gab es eine kurze Geschichte von einem Apfel, in dem geschrieben stand: „Gib diesen Apfel dem Menschen, den du am meisten liebst.“ Der König gab den Apfel an seine Frau weiter, diese an ihren Geliebten, der ihn an die Küchenmagd weiterreichte. Ja, und diese schenkte ihm den König …
Als es dann dunkel wurde, viele Kerzen, knisternde Feuer und bunte Scheinwerfer den Park illuminierten, wurde der Park erst recht zu einer geradezu magischen Erzähllandschaft. Maria Carmela Marinelli erzählte von drei Nymphen, die einen verlorenen Fingerhut fanden, und Selma Scheele fesselte die Zuhörer*innen mit einer etwas makabren Geschichte von einer ertrunkenen Frau, die als Gerippe herumgeisterte und schließlich von einem Jäger wieder zum Leben erweckt wurde. (ako)