Ein Brückenbauer ist tot
22.04.2025

Ein Brückenbauer ist tot

Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus, ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Mich bewegt besonders, wie er noch einmal alle Kräfte bündelte, gegen den Rat seiner Ärzte, um mit den Gläubigen Ostern feiern und sich ihnen ein letztes Mal zeigen zu können. Denn das war Papst Franziskus für mich. Ein Papst, der nicht nur „für“ Menschen da sein wollte, sondern der es wagte, sich mit ihnen auf den Weg zu machen, Ausgang unbekannt.

Der Argentinier folgte 2013 als erster Nichteuropäer seinem Vorgänger Benedikt XVI. ins Amt als Bischof von Rom. Der deutsche Papst Benedikt, geboren als Joseph, Ratzinger, resignierte buchstäblich, weil es ihm nicht gelang, glaubwürdige Antworten auf die Verstrickungen der Kirche in Korruption und die Vertuschung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu finden. Gescheitert nicht nur der Papst, sondern auch sein Programm: „Benedikt“ stand für eine Kirche, die der Welt „draußen“ eine Lehrmeisterin sein wollte; Er verkörperte eine Kirche ewig wahrer Antworten; eine Kirche, die sich abarbeitet an einer modernen Welt, die nicht einmal mehr die passenden Fragen stellt auf diese Antworten. Und dann war die Glaubwürdigkeit fort und mit ihr das Programm.

Einer, der Verantwortung übernahm

Ich gestehe, dass ich nicht froh über die Wahl eines Jesuiten zum Papst war; Ämter in der kirchlichen Hierarchie einzunehmen, war nicht gerade der Plan unserer Ordensgründer. Und als Bischof schien Jorge Mario Bergoglio in seiner Heimat durchaus nicht unumstritten. Das war vermutlich auch nicht anders zu erwarten angesichts einer Gesellschaft, zerrissen von Militärdiktatur, Armut und sozialer Ungleichheit. Und dennoch, welche Hypotheken mochte er mitbringen? Aber, die Aufgabe, eine zerrissene Gemeinschaft zu führen in einer Situation, die keine große, gemeinsame Strategie erlaubt, Schritt für Schritt und doch mit einem klaren, inneren Kompass: Kein Glaube ohne Einsatz für Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Es  war vermutlich eine Schule für das kommende Amt. Heute schaue ich einfach dankbar zurück auf die Jahre dieses Pontifikats, auch wenn oder vielleicht gerade weil Franziskus keine der „Antworten“ geliefert hat, die viele erwarteten.

Denn die einen erwarteten – wie selbstverständlich – einen Bewahrer, der das Programm seiner beiden Vorgänger, antimodernistische Profilierung der Kirche gegenüber den „Irrtümern“ der zivilen Gesellschaft, fortsetzen würde. Andere – nicht zuletzt hier in Deutschland – erhofften „den“ Reformpapst, der endlich den Reformstau beendet: einen, der Frauen zum Priesteramt oder wenigstens zum Amt der Diakonen zulässt; Einer, der in eine kirchliche Hierarchie, deren Anfälligkeit für Korruption sich gerade erst in abgründiger Weise gezeigt hatte, mehr Checks-and Balances einbauen würde; der mehr Beteiligung der Basis wagen würde; der mehr Toleranz zeigen würde gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen, gegenüber Homosexualität, der Wiederverheiratung von geschiedenen Menschen, den Zweifelnden und Skeptikern … Was für ein Bündel widerstrebender Erwartungen!

Kein Wohlfühl-Papst

Und Papst Franziskus ist durchaus ambivalent und alles andere als pflegeleicht mit diesen Erwartungen umgegangen. Einerseits hat er ehrlich aufgeräumt mit der unerfüllbaren und unmenschlichen Erwartung, ein Papst in Rom könne es allein richten. Andererseits konnte er schon sehr autoritäre Ansagen machen. Er wollte eine Kirche, die mehr regionale Vielfalt ermöglicht. Aber die deutschen Versuche, seine Idee der synodalen, der beratenden Kirche für diese Gesellschaft zu kontextualisieren, stellte er umgehend unter den Verdacht der Protestantisierung. Letzteres fand ich übrigens recht albern und oberflächlich, und ganz in der Tradition der unausrottbaren, klerikalen, römischen Vorurteile gegen die deutsche Kirche. So hat er mal geistliche Prozesse gemeinschaftlicher Unterscheidung gestartet, um sie, wann immer ihm ein Ende erreicht schien, ganz allein für beendet zu erklären, bzw. Ergebnisse dieses Unterscheidens zu guttieren oder zu kritisieren. Mal hat er Mut eingefordert, Dinge zu wagen, um dann umgehend Stoppschilder aufzustellen. Dies und seine Neigung, nicht immer sehr überlegt und diplomatisch Klartext zu reden, hat das Verhältnis vieler Christinnen und Christen zu ihm, insbesondere auch in der Kirche in Deutschland, belastet.

Mut zur Bewegung

War er der erhoffte Reformpapst? Vielleicht nicht. Vielleicht hätte das auch mehr zerstört als ermöglicht. Genau wie ein „Bewahrer“ am Ende alles nur zerstört hätte. Aber Jorge Mario Bergoglio hat Türen aufgemacht, durch die nun andere gehen können. Er hatte die Weisheit, dass es beides braucht: Endlich Mut zur Bewegung. Und das Wissen darum, dass die Kultur von menschlichen Institutionen sich nur langsam und nur gemeinschaftlich verändern lässt. Aber: Er hat in eine römische Zentrale und auf ein Amt, die in den letzten Jahrzehnten so viel Macht und Bedeutung auf sich selbst aufgeladen hatten, dass sie darunter buchstäblich erstarrt und versteinert waren, den Mut zur Bewegung und zum Vorläufigen eingeschleppt. Für mich ist dafür das Sinnbild, dass er im Gästehaus wohnte statt im päpstlichen Palast. Ganz offensichtlich keine Dauerlösung! Aber eine entschiedene Abkehr vom Kirchen- und Rollenbild des am Petersdom residierenden göttlichen Statthalters, das moralisch kompromittiert und erledigt war. Konsequenterweise wird er seine letzte Ruhestatt auch nicht im Petersdom finden. Keine Lösungen, aber geöffnete Türen, die Luft zum Atmen einlassen und nachfolgenden Generationen Raum eröffnen, um Antworten zu suchen.

Nein, Papst Franziskus hatte keine Rezepte. Aber er hat vieles in Bewegung gesetzt. Er stand für eine Kirche, die endlich den Mut hatte, wieder Fragen und das Leben in all seiner Vielschichtigkeit und Uneindeutigkeit zuzulassen.

Und vielleicht war manches, was aussah wie ein Hin und Her, seine Weise geschmeidig den Laden zusammenzuhalten und Brüche zu vermeiden. Ein Brückenbauer eben, nach innen wie nach außen. Denn, obwohl ein Mann von Klartext, der den Konflikt nicht scheute, schien mir Papst Franziskus auch geschmeidiger, weniger bedacht darauf, immer recht haben zu müssen, bereiter sich auch selbst zu bewegen. Wer Brücken bauen will, muss sich bewegen! Allein dies nötigt mir Respekt ab: Sich die Fähigkeit zum Kompromiss und zur Uneindeutigkeit im Dienst von Menschlichkeit und Zusammenhalt zu bewahren, in einer Zeit, in der viele ganz spießig und egozentrisch nur damit beschäftigt sind, ständig rote Linien zu ziehen und Kompromisse als Verrat zu denunzieren. Das nenne ich Haltung!

Ein Reformpapst?

Hat Papst Franziskus Erwartungen enttäuscht? Fast unvermeidlich! Sich vom Gegenüber verändern zu lassen, ist aber kein einseitiger Prozess! Und so müssen sich umgekehrt die Menschen, insbesondere auch die Christinnen und Christen in Europa, schon fragen lassen, wie ernsthaft sie selbst Reformbereitschaft gezeigt haben, wo Papst Franziskus sehr berechtigt seinen Finger in die Wunde legte. Gerade drohen einige Stimmen aus einer Partei, die noch C wie christlich im Namen führt, den deutschen Kirchen, weil sich diese angeblich zu sehr um Politik und zu wenig um Seelsorge kümmern. Ein recht durchsichtiges Manöver gegen kürzliche Kritik, die offenbar einen Nerv getroffen – und – wider Erwarten der Betreffenden – Wählerstimmen gekostet hatte. Solange sich die katholische Kirche mehr mit den Betten der Menschen beschäftigte, war es schon recht, wenn sie sich politisch einmischte.

Papst Franziskus aber mahnte, die Kirche solle sich doch nicht ausschließlich damit, sondern mal mehr mit den Küchen und Esszimmern, also mit den Lebensverhältnissen der Menschen beschäftigen: Wer hat was zu essen? Und warum haben nicht alle genug? Seelsorge, die umgehend zurück zur Politik führt. Und so führte auch seine erste Reise als Papst Franziskus nach Lampedusa. Dort warf er einen Kranz für all die namenlosen Menschen ins Meer, die Europa an seinen Grenzen ertrinken ließ und lässt.

Eines steht fest: Mit diesem Papst war sicher keine weniger „politische“ Kirche zu haben. Denn „unpolitisch“ würde hier aus Sicht von Franziskus nur bedeuten: Eine Kirche die ihr Herz versteinert gegenüber dem Schicksal von Mitmenschen vor der eigenen Haustür. Es mag auch bei diesem Problem keine einfachen Antworten geben. Und das verbietet Rechthaberei von oben herab, wenn es um die aufrichtige Suche nach Lösungen geht. Im Unterschied dazu aber prangerte Papst Franziskus zu Recht jene Form praktizierter Herzlosigkeit an, die nicht einmal mehr fähig ist, zu trauern; die Menschen auf der Flucht vor Gewalt und Hunger nur noch denunziert als Parasiten, potentielle Kriminelle und als Problem. Im Evangelium ermahnen die Feinde Jesus, er solle doch seine Freunde zum Schweigen bringen. Und Jesus antwortet: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien. Nein, die katholische Kirche in Deutschland muss sich am Grab von Franziskus eher die Frage gefallen lassen, ob sie zu viel mit dem Erhalt des eigenen Status und des eigenen Apparats beschäftigt ist, statt sich an der Seite derer, die nicht für sich sprechen können, einzumischen.

Die Herausforderung, angesichts einer sich verändernden Welt sich selbst verändern zu lassen, der Ruf nach Reform, er geht nicht nur an die Spitze der Kirche. Er betrifft uns alle, auch an der Basis.

Das Erbe: Alle sind Geschwister

„Fratelli tutti“, alle sind Geschwister, hieß eines der Lehrschreiben des Papstes. Dafür warb Papst Franziskus. Und das war sein Paradigmenwechsel zu einer Kirche, die vorwiegend mit Abgrenzung nach außen und Ausgrenzung unerwünschter Meinungen und Lebensweisen nach innen beschäftigt war. „Fratelli tutti“, die Devise eines Papstes, der mit den Menschen ein Stück Weges gehen wollte, statt sie zu beurteilen und zu belehren. Nicht immer einfach! Manchmal ungeduldig. Vielleicht konnte Papst Franziskus nicht den Königsweg finden, wenn es diesen denn überhaupt gibt, den Anspruch der Geschwisterlichkeit in reale Kirchenpolitik umzusetzen. Aber er hat diesem Anspruch in der Kirche wieder Leben eingehaucht und ihm in seiner Person Haltung verliehen. Die Bilder, wie der Papst bei der Weltsynode unter all den anderen Beratenden saß, auf Augenhöre und an Tischen, die im Kreis standen, dieses Bild bleibt mir mehr als jeder Beschluss, der gefasst wurde oder auch nicht gefasst wurde. Und Franziskus hat für 2028 bereits eine Einladung ausgesprochen, die nun ein Nachfolger umsetzen muss: Eine kirchliche Beratung, eine Beratung aller Glieder der Kirche, keine Beratung von Bischöfen,  darüber, wie die katholischen Gemeinden die Empfehlungen der vergangenen Weltsynode umgesetzt haben. Der Papst sorgt für geschwisterliche Bewegung, auch über den eigenen Tod hinaus. Und so schaue ich ein wenig traurig, sehr hoffnungsvoll und sehr dankbar auf das Erbe dieses Papstes. Jorge Mario Bergoglio aber darf nun endlich die Last der Verantwortung ablegen und vor seinen Schöpfer treten.

Tobias Zimmermann SJ

Tobias Zimmermann SJ

Direktor des Heinrich Pesch Hauses

Studium in Theologie, Philosophie und Kunstpädagogik; ausgebildeter Focusingtherapeut

Telefon: 0621 5999-160
E-Mail: zimmermann@hph.kirche.org

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